Programm
Passive Praxis? Die Suche nach der Transformativität in Heideggers Wahrnehmungsphilosophie
Louis Jasch
Universität Potsdam, Deutschland
In meinem Vortrag möchte ich Heideggers Wahrnehmungstheorie auf ihren praktischen Bezug hin prüfen; die zu bestätigende These lautet dabei, dass Heidegger Wahrnehmung grundsätzlich praktisch denkt, dabei aber keine transformativen Charakter dieser Praxis denken kann. Diesem Problem möchte ich durch Merleau-Ponty abhelfen.
Indem Heidegger den Modus, in dem wir Wahrgenommenes zunächst und primär wahrnehmen, in Sein und Zeit als ‚Zuhandenheit‘ (vgl. Heidegger 2006: 69) bestimmt, bestimmt Heidegger Wahrnehmung als praktischen Akt. Da der Gegenstand in seiner Zuhandenheit als ein ‚Um-zu‘ (vgl. ebd.) wahrgenommen wird, man könnte also sagen, als praktische Handlungsanweisung, als offene Möglichkeit und Aufforderung zu dieser Möglichkeit, ist Wahrnehmung ursprünglich engagiert und keineswegs primär kontemplativ. Doch inwiefern ist dieser praktische Modus durch ein Potenzial zur Transformation des Wirklichen ausgezeichnet?
Dazu ein kurzer Blick in Kant und das Problem der Metaphysik. Heidegger bestimmt hier, in Anschluss an Kant, Wahrnehmung als konstitutiv endlich. Das meint (1) dass Wahrnehmung immer auf etwas ihr Äußeres und Unabhängiges zugreifen muss und (2) dass ihr zwar ein ursprünglicher Zugriff auf dieses Äußere und Unabhängige eignet, sie auf diesen Zugriff aber selbst nur als ein Äußeres und Unabhängiges zugreifen kann.
Die konkrete Bedeutung dessen lässt sich anhand der ‚Auslegung‘, die jede Wahrnehmung bestimmt (vgl. ebd.: 148ff.), zeigen. Diese besteht in drei Schritten: (1) Der ‚Vorhabe‘, meiner intentionalen Bezugnahme auf das Wahrgenommene; (2) der ‚Vorsicht‘, die den Zugriff auf den Gegenstand als Äußerliches und Unabhängiges ermöglicht; (3) dem ‚Vorgriff‘, der das Wahrgenommene in einer begrifflichen Form darstellt. Einerseits ist unsere Wahrnehmung also endlich, weil sie auf die Vorsicht angewiesen ist (1), andererseits jedoch ebenfalls, weil die Vorsicht zwar erst durch die Vorhabe möglich wird, Wahrnehmung auf ihre eigene Vorhabe, ihre eigene intentionale Bezugnahme aber als ein Äußeres und Unabhängiges zugreift, sie passiv hinnimmt (2). Wenn ich den Hammer als Um-zu-Hämmern wahrnehme, geschieht dies zwar nur, weil ich mich mit der Intention das Hämmerns auf den Hammer beziehe, wie diese Intention aber den Hammer entdeckt, liegt, in der Wahrnehmungssituation, nicht in meiner Hand.
In diesem Sinne birgt die Wahrnehmung grundsätzlich transformatives Potenzial (im Rahmen des Äußeren und Unabhängigen, auf das sie zugreifen muss), kann dieses Potenzial jedoch nicht nutzen, da sie ihm passiv gegenübersteht.
Merleau-Ponty bietet eine Lösung des Problems an: Für ihn lassen sich nämlich ‚ausdrückliche‘ und ‚allgemeine Intentionen‘ trennen (vgl. Merleau-Ponty 1965: 499); auf ausdrückliche habe ich Einfluss, diese fußen jedoch auf den allgemeinen, denen gegenüber ich passiv bin. Der Fehler liegt nun jedoch darin, allgemeine Intentionen als bestimmt, objektiviert zu beschreiben. So trete ich an den Hammer nicht mit der allgemeinen Intention des Hämmerns heran, sondern mit einer unbestimmteren Intention, die dann erst die spezifische Intention des Hämmerns zulässt, weshalb ich diese auch ändern kann, ohne meine allgemeine Wahrnehmung des Hammers zu ändern. So bin ich zwar endlich, passiv gegenüber meinen allgemeinen Intentionen, da diese aber mehrere spezifische Intentionen zulassen, liegt hierin doch ein praktisches Vermögen der Transformation.