Programm
Denken als Handeln und Handeln als Denken: Das Verhältnis von Theorie und Praxis als interne holographische Relation
Leo Sonntag
Universität Potsdam, Deutschland
Das Verhältnis von Theorie und Praxis im Allgemeinen und theoretischer und praktischer Philosophie im Speziellen kann sich, wie jede Relation, entweder als externe Beziehung oder als interne Beziehung darstellen. Ich werde argumentieren, dass die Beziehung zwischen Theorie und Praxis nur als interne und holographische Beziehung verständlich ist – das heißt, dass weder Theorie noch Praxis ohne das jeweils andere auskommen können und sich in jeder Praxis eine entsprechende Theorie äußert und umgekehrt. Davon ausgehend vertrete ich unter anderem die These, dass Philosophie nur holistisch erfasst werden kann. Eine Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, so die Folge, basiert lediglich auf einem anderen Fokus in den Teildisziplinen.
Es wird sich zeigen, dass jede Praxis (verstanden im doppelten Sinne von Handlungsakt und institutionalisierter Praxis) zwangsläufig auf mindestens einem Begriff beruht, um überhaupt als diese jeweilige Praxis von anderen Praxen abgegrenzt werden zu können. Hinter jeder Praxis steht mindestens ein Begriff, der stillschweigend akzeptiert wird und sich in ein entsprechendes System aus Begriffen einfügt. Demnach beinhaltet jede Praxis zwangsläufig ein begriffliches System, als dessen Manifestation sie verstanden werden kann.
Auf der Gegenseite erfordert eine Analyse des Verhältnisses von Theorie zur Praxis einen Rekurs auf die Frage „Was ist Philosophie?“, um davon ausgehend den Begriff der Theorie definieren zu können. Ausgehend von Deleuze und Guattaris Werk Was ist Philosophie? sowie einem Rückgriff auf Kant, Stanley Cavell und Heidegger lässt sich, wenn auch keine Antwort auf die erste Frage, zumindest eine hinreichende Bedingung für Philosophie finden: Bei einer Philosophie handelt es sich um ein begriffliches System, das das Verhältnis des Menschen zu sich und zur Welt explizieren soll.
Eine philosophische Theorie lässt sich folglich als ein begriffliches System definieren, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht. Da sich der Mensch qua seines Mensch-Seins allerdings nur durch sein Handeln aktualisieren kann, ist jedes begriffliche System, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht, als Erklärung oder Anweisung schlussendlich immer stillschweigend oder explizit auf menschliche Praxis ausgerichtet. Praxisunabhängige Theoriebildung ist in der Philosophie also nicht möglich. Die Schaffung neuer Begriffe durch neue Theorien ermöglicht erst neue Handlungsweisen. Die „Interpretation“ der Welt schafft erst die Möglichkeit der Veränderung derselben – selbst wenn es auf letztere ankommen mag, wie Marx in seiner elften These über Feuerbach behauptet.
Aus diesem Argument folgt, dass zwischen Theorie und Praxis eine interne Beziehung besteht, die sich sogar als holographisch darstellt: In jeder Praxis ist eine entsprechende Theorie intrinsisch enthalten und stillschweigend akzeptiert, und in jeder Theorie ist stillschweigend oder explizit eine bestimmte Praxis impliziert und legitimiert.
Theorie und Praxis sind demnach eng miteinander verbunden; es kann keine Praxis ohne Theorie und keine Theorie ohne implizierte Praxis geben. Das Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie als Disziplin ist folglich auch nur holistisch zu verstehen – die Arbeitsteilung in diese beiden Bereiche ist nicht organisch, sondern vielmehr eine Unterscheidung hinsichtlich des jeweiligen Fokus aus akademischen Umständen.