Programm

Angewandter Universalismus: Das Verhältnis von Theorie und Praxis anhand des historischen Beispiels des Abolitionismus

Stephanie von Steinsdorff

Universität Potsdam, Deutschland

Universalismus scheint global betrachtet bis zum heutigen Tage vor allem in der Theorie Allgemeingültigkeit zu besitzen. Abolitionist*innen kämpf(t)en jedoch für die radikale Umsetzung dieser Theorie. Die Frage, der im Vortrag nachgegangen werden soll, lautet: Welche universalistischen Theorien finden sich in der abolitionistischen Praxis wieder und welches Verhältnis von Theorie und Praxis kann daraus abgeleitet werden?

„Radikaler Universalismus“ ist für den israelisch-amerikanischen Philosophen Omri Böhm in seinem gleichnamigen Buch (2023) die kantianische Antwort auf das Theorie Praxis Problem des Universalismus. Für ihn wurden in der Aufklärung Rechte formuliert, die Freiheit versprachen, allerdings nicht vollends in die Praxis übertragen wurden, weshalb sich die Aufklärung schuldhaft gemacht hätte. Universalismus und die damit einhergehende Gleichheit der Menschen in ihren Rechten stellt für Böhm keine Erfindung der Aufklärung dar, sondern sei ein übermenschliches Prinzip, welches schon in der Hebräischen Bibel verankert wäre. Universalistische Theorie scheint in der Tat in der Praxis sowohl in der Epoche des 18. Jahrhunderts als auch in der Gegenwart unerfüllt geblieben zu sein in Anbetracht des weiterexistierenden Rassismus und Antisemitismus. Doch es gab und gibt radikale Kämpfe für einen eingelösten Universalismus.

Die Menschenrechte, die in der Französischen Revolution (1789) im Hinblick auf das Gedankengut der universellen Menschenrechte, welches Philosoph:innen formulierten, in 17 Artikeln vom Nationalkonvent deklariert wurden, wurden nicht sofort für alle in die Praxis umgesetzt. Personen weiblichen Geschlechts, sowie Personen jüdischer Herkunft und People of Color wurden diese Rechte nicht zugesprochen. Doch dem Befreiungsakt der Haitianer:innen in der Haitianischen Revolution und den Abolitionist:innen im Amerikanischen Bürger:innenkrieg von 1861 - 1865 liegt die Forderung und die Formulierung der Freiheit und Gleichheit aller Menschen zugrunde.

„Radikaler Universalismus“ vereint also Theorie und Praxis, indem aus universalistischem Gedankengut konsequenterweise aus Rechten für alle die Pflicht der Handlung (für alle) folgt, die im aktiven Kampf gegen Unterdrückung ein friedvolles Miteinander schafft. Abolitionist*innen waren diejenigen, die den Universalismus in ihren Schriften formulierten und darauf aufmerksam machten, dass nicht allen Menschen tatsächlich die gleichen Rechten gewährt wurden. Sie brachten also den Universalismus in einer radikalen Art und Weise in die Praxis, kämpften und bezahlten mitunter mit ihrem Leben für die Forderung der Freiheit und dem Kampf um Befreiung aller Menschen. Radikal steht bei Böhm in dem Sinne für den Kampf um eine lückenlose Umsetzung der Menschrechte, welche von der Theorie der Freiheit in der Praxis der Befreiung mündet. 

Diesen praktischen Kämpfen geht theoretisches Gedankengut, aber auch theoriebasierte Praktiken wie Forderungen in der Presse, Austausch in vorpolitischen Räumen und Diskussionen in der Öffentlichkeit voraus. Anhand historischer Beispiele des Abolitionismus in der Haitianischen Revolution und im Amerikanischen Bürger*innenkrieg soll gezeigt werden, inwiefern Theorie und Praxis Hand in Hand gehen können, aber die Theorie der Praxis als Grundlage dient. Dies soll im Vortrag anhand universalistischen Überlegungen in publizistischen Schriften von Abolitionist:innen des 19. Jahrhunderts dargelegt werden, um anschließend das Verhältnis von universalistischer Theorie und der Gleichstellungspraxis zu bestimmen. Hierbei fungiert Publizistik als öffentlicher Diskursraum, welcher ein Übergangsort zwischen Theorie und Praxis darstellt.